Das Aus nach 167 Jahren: Die Bankenpleite der Credit Suisse sorgt für Schockwellen in der globalen Finanzbranche. Immerhin zählte das Institut, das jetzt vom Schweizer Branchenprimus UBS übernommen wird, zu den 30 systemrelevanten Banken der Welt. Doch nicht alle Marktteilnehmer verfolgen den rapiden Kursverlust der Credit-Suisse-Papiere mit Bedauern. Einige von ihnen haben am Kurskollaps sogar prächtig verdient. Die Rede ist von sogenannten Shortsellern, zu Deutsch: Leerverkäufer. Sie profitieren nicht von steigenden, sondern von fallenden Kursen.
Das Ganze funktioniert grundsätzlich so: Shortseller leihen sich einen Vermögens- beziehungsweise Basiswert, beispielsweise Aktien, für einen bestimmten Zeitraum von einem institutionellen Anbieter. Das kann ein Bankinstitut, ein Vermögensverwalter oder auch ein großer Fonds sein. Im Gegenzug für die geborgten Aktien zahlen die Shortseller eine laufende Gebühr an den Leihgeber. Nach Ablauf der vereinbarten Frist muss der Shortseller seine geliehenen Aktien zurückgeben. Das bezeichnet man im Fachjargon als glattstellen.
Das Ziel von Shortsellern ist es nun, Gewinn zu erzielen, bevor sie ihre Short-Position glattstellen. Dafür verkaufen sie in einem ersten Schritt die geliehenen Papiere zum aktuellen Kurs an der Börse weiter. Sinkt in danach der Kurs, können die Leerverkäufer die Aktien günstiger zurückkaufen. Die Differenz zwischen dem idealerweise höheren Verkaufs- und niedrigeren Rückkaufpreis ist ihr Gewinn – abzüglich der Leihgebühr. Das heißt: Je größer der Wertverfall im vereinbarten Zeitfenster, umso höher fällt der Gewinn für den Leerverkäufer aus. Das erklärt auch den Namen der Spekulanten-Spezies: Leerverkäufer verkaufen Wertpapiere, die zum Abschluss des Geschäfts nicht in ihrem Eigentum stehen. Im Englischen bezeichnet “shorten” wiederum, dass Anleger auf fallende Preise spekulieren.
Zwei Varianten
Shortselling selbst ist in zwei Varianten möglich: Erstens als kurzfristiges Kassageschäft, bei dem die Leerverkäufer ihre Leihgabe binnen zwei bis drei Geschäftstagen zurückgeben müssen. Zweitens als längerfristiges Termingeschäft, dessen Dauer die beiden Parteien individuell miteinander aushandeln.
Das riskante Geschäftsmodell von Shortsellern ist eine Wette in die Zukunft, bei dem kriselnde oder mutmaßlich stark überbewertete Firmen und Sachwerte im Fokus stehen. Wie jedes spekulative Geschäft kann das gehörig nach hinten losgehen. Sollte der Aktienkurs nach dem Verkauf der geliehenen Papiere nachhaltig ins Plus drehen, müssen Leerverkäufer die Aktien entsprechend teurer am Markt zurückkaufen, um diese fristgerecht an den Verleiher zurückgeben zu können.
Mitunter kann es vorkommen, dass es eine Vielzahl an Shortsellern gibt, die sich dieselben Papiere geliehen haben und diese in einem ähnlichen, eng getakteten Zeitfenster zurückgeben müssen. Dieser geballte Kaufdruck kann zu scharfen Rallys am Markt führen, welche die Situation immer weiter verschärfen und im Fachjargon Short Squeeze heißen.
Gerade die jüngsten Turbulenzen im Bankensektor locken vermehrt Shortseller an. Denn nach dem Zusammenbruch der Silicon Valley Bank (SPV) und dem Aus für das Traditionshaus Credit Suisse steigt die Sorge vor einem Domino-Effekt – weitere Institute könnten unter die Räder geraten. Shortseller wittern hier multiple Chancen, wie unter anderem Daten von S3 Partners zeigen. Demnach gab es zuletzt stark gestiegene Shortseller-Wetten gegen gleich mehrere Geldhäuser. Am meisten profitieren Shortseller mit ihren Wetten gegen die französische Großbank BNP Paribas: Der Gewinn der Leerverkäufer belief sich alleine zwischen Anfang und Mitte März 2023 auf 375 Mio. US-Dollar. Beträchtliche Wetten gibt es neben Credit Suisse auch gegen Unicredit, Société Générale und HSBC Holdings.
Hedgefonds betätigen sich häufig als Shortseller
Das weiß man so genau, da in Deutschland Leerverkäufe ab einer gewissen Größenordnung meldepflichtig sind. In der Regel handelt es sich bei Shortsellern um Hedgefonds und andere institutionelle Markt-Profis, die nicht darauf aus sind, die entsprechenden Wertpapiere selbst langfristig zu besitzen. Erreichen die Netto-Leerverkaufspositionen einen Anteil von 0,1 Prozent des ausgegebenen Aktienkapitals, muss der Shortseller die entsprechende Behörde bis spätestens 15.30 Uhr des Folge-Handelstags darüber informieren. Ab einem Anteil von 0,5 Prozent müssen die Leerverkaufspositionen zusätzlich im Bundesanzeiger veröffentlicht werden.
Auch risikobewussten und erfahrenen Privatanlegern steht die spekulative Handelsmethode des ‚Shortens‘ offen. Sie können bei ihrer Bank oder ihrem Broker emittierte Put-Optionsscheine erwerben, die einer Verkaufsoption gleichkommen. Diese Papiere steigen im Wert, wenn der zugrunde liegende Basiswert fällt.