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Wie Fassaden zu Hitzeableitern werden

„Nie sah ich natürliches Eis während meines Aufenthalts in diesem Viertel des Globus“, schrieb Robert Barker, ehemaliger Oberbefehlshaber der britischen Truppen in Indien, im Jahr 1775 in einem Brief an den Arzt Richard Brocklesby. Auch die Thermometer verzeichneten zu keinem Zeitpunkt einen Abfall auf Temperaturen unter den Gefrierpunkt, schrieb der Kolonialoffizier verblüfft. Und doch sei es üblich gewesen, jeden Morgen einen „perfekten Eiskuchen“ vorzufinden. In seinem Bericht „Der Prozess des Eismachens in Ostindien“ dokumentierte Barker akribisch, wie die Einwohner von Kalkutta und Allahabad (dem heutigen Prayagraj) abends Wasser in flache Tonschalen gossen und unter den Nachthimmel stellten. Vor Sonnenaufgang hatte sich das Wasser dann trotz Plusgraden zu Eis verwandelt, woraufhin man es aus den Formen herausschlug und in speziellen Eishäusern lagerte.

Diese für Europäer unbekannte Methode zur Eisgewinnung war in Indien und Persien weit verbreitet. Physikalisch beruht der Effekt auf der sogenannten Strahlungskühlung oder Radiative Cooling: Jeder Körper emittiert in­fra­rote Wärmestrahlung und verliert dadurch Energie, weshalb er langsam abkühlt. Daher kann Wasser gefrieren, auch wenn das Thermometer +5 Grad Celsius Lufttemperatur anzeigt. Viele dürften mit diesem Phänomen im Alltag schon unliebsame Bekanntschaft gemacht haben – dann nämlich, wenn am Morgen nach einer sternenklaren Nacht die Windschutzscheibe vereist ist. Doch neben lästigen Begleiterscheinungen wie Eiskratzen birgt der Kühleffekt durchaus Anwendungspotential: Ingenieure tüfteln seit einigen Jahren daran, Radiative Cooling zum Kühlen von Hausdächern, Photovoltaikanlagen oder biologischen Proben zu nutzen.

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