Die Corona-Pandemie hat die Stärken, aber auch die Schwächen des deutschen Gesundheitssystems schonungslos offengelegt. Der exzellenten Grundlagenforschung und dem biotechnologischen Know-how in Deutschland ist es zu verdanken, dass aus der Idee, mRNA-Impfstoffe zur Krebstherapie einzusetzen, binnen weniger Monate ein effektiver Impfstoff zur Bekämpfung des Sars-CoV-2-Virus entstehen konnte. Die klinischen Studien zur Zulassung des Impfstoffes fanden jedoch nicht in Deutschland statt. Und es bedurfte eines international agierenden Pharma-Partners, um die Zulassungen der nationalen Arzneimittel-Agenturen zu erhalten und die Produktion wie den Vertrieb auszubauen.
Das muss sich ändern, wenn Deutschland für künftige Gesundheitskrisen besser gewappnet sein will. Wenn es bei der Behandlung der vielen chronischen Erkrankungen – von Diabetes und Krebs bis zu Demenz und Parkinson – Fortschritte erzielen will, die bei den Patienten ankommen. Mit der Bündelung der Kräfte in einem Nationalen Institut für Gesundheitsforschung könnte Deutschland sich schlagartig und prominent wieder auf der Landkarte führender Gesundheitsforschungs- und –entwicklungsstandorte platzieren.
Bei den klinischen Studien zu Covid-19 ist Deutschland deutlich hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Von fast dreitausend klinischen Studien weltweit wurden im Jahr 2020 nur 65 in Deutschland durchgeführt. Nur 27 wurden vollständig abgeschlossen (siehe F.A.Z. vom 14.9.2021). Das Urteil der Experten ist eindeutig: Der deutsche Beitrag sei „bescheiden“. Eine Evaluation der Möglichkeiten, klinische Studien in Deutschland durchzuführen, sei dringend angezeigt. Am mangelnden Willen der Wissenschaftler und Pflegekräfte in den 352 deutschen Universitätskliniken liegt es nicht. Doch das System ist zersplittert. 16 Bundesländer ringen mit jeweils eigenen Strategien darum, die Ausbildung des medizinischen Nachwuchses für ihr Land zu sichern, maximale Versorgungsleistungen anzubieten und zudem wegweisende Forschung zu ermöglichen – ein kaum zu lösender Zielkonflikt. Und das System ist nur ungenügend darauf eingestellt, die Veränderungen und Innovationssprünge mitzugestalten. Denn Gesundheitsforschung und Pflege werden zunehmend digitaler und vernetzter. Prävention gewinnt ebenso an Bedeutung wie personalisierte Therapieansätze. Globale Vernetzung geht Hand in Hand mit neuen Behandlungsmöglichkeiten vor Ort. Hier drohen deutsche Universitätskliniken unter der Anspruchslast einzuknicken, wenn nicht Hilfe kommt. Anders sieht es in der außeruniversitären Forschung aus. Die Gesundheitsforschungsinstitute der Helmholtz- und der Leibniz-Gemeinschaft sowie der Max-Planck- und der Fraunhofer-Gesellschaft verfügen über ein erstklassiges, weltweit anerkanntes wissenschaftliches Rückgrat. Sie entwickeln neue Schlüsselkonzepte und Technologien, die aktuell dabei helfen, die Ursachen und langfristigen Folgen von Covid-19-Infektionen zu verstehen und in den Griff zu bekommen.
Mit sechs Deutschen Zentren für Gesundheitsforschung, demnächst gar acht, die die Forschung zu einzelnen Krankheitsbildern – von Lungenkrankheiten bis zu Herzkreislauferkrankungen – bündeln, sind in Deutschland zwar bereits erste Verbundstrukturen entstanden. Hier arbeiten ausgewählte außeruniversitäre Institute und Universitätsklinika zusammen. Förderprogramme des Bundes wie die Medizininformatik-Förderung oder das Netzwerk Universitätsmedizin stärken einzelne Klinik-Verbünde und deren Kooperation untereinander. Doch erst eine Zusammenführung dieser Gesundheitszentren und der daran beteiligten Institute unter einem Dach – als „One-Stop-Shop“ – würde eine einfache, sichtbare und landesweite Struktur schaffen, die alle Kräfte koordiniert, ein Partner für Ausgründungen und Ansprechpartner der Industrie wäre und der international wahrgenommen würde.