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Ist das noch Klimawandel oder schon Kollaps?

Wenn dieser Tage über das Wetter gesprochen wird, dann etwa so: Der Planet geht steil. Das Klima gerät aus den Fugen. Der Süden ist ein Brutofen.

Einen extremeren Sommer haben viele Menschen wohl noch nicht erlebt. Hunderte Millionen, von Kalifornien bis nach Florida, von Portugal bis nach Peking, werden bei Außentemperaturen jenseits der vierzig Grad, viele sogar bis zu unmenschlichen fünfzig Grad gebraten. Auch nachts finden sie keine Erleichterung, weil sich die Hitze auch dann noch bei mehr als dreißig Grad hält.

Sie alle erleben in diesen Tagen, was es heißt, wochenlang unter einem gewaltigen „Hitzedom“ zu leben oder unter einer „Hitzekuppel“. Vier oder fünf solcher Kuppeln haben sich zuletzt rund um die Nordhalbkugel festgesetzt und hatten Feuersbrünste in Kanada und Südeuropa zur Folge. Auch die Hälfte der Meeresober­fläche weltweit ist von extremen Wassertemperaturen betroffen. Nach Nord- und Ostsee, die schon vor Wochen Temperaturen wie im Mittelmeer hatten, misst man im Mittelmeer selbst nun fünf Grad über dem langjährigen Durchschnitt.

Experten versuchen, mit schrägen Begriffen wie „Polyhitze“ das zu beschreiben, was auch sie bisher noch nicht zu kommentieren hatten. Die schwitzende Mehrheit aber will wissen: Kippt jetzt das Klima womöglich? Hat sich der Klimawandel plötzlich beschleunigt – von einem Jahr auf das andere? „Das ist eine planetare Warnung an die Menschheit“, sagt der schwedische Erdsystemforscher Johan Rockström vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Es trete ein, was lange vor­her­gesagt wurde, „auch wenn es etwas stärker und schneller kommt, als wir berechnet hatten“.

Der Juli wird den Juni wohl noch toppen

Die am Londoner Imperial College arbeitende Klimaforscherin Friederike Otto, eine der angesehensten Expertinnen für Wetterextreme und wie Rockström ihrer Sachkunde wegen vom „Time Magazine“ zu den hundert einflussreichsten Menschen auf dem Globus gewählt, äußert sich ähnlich: „Wir sehen jetzt das, was wir Wissenschaftler erwartet haben und immer wieder sehen werden.“ Und noch deutlicher wird Mojib Latif vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel, seit einigen Jahren Präsident des berühmten Club of ­Rome: „Ich wundere mich über die ganze Aufregung um Rekordtemperaturen, und ich bin überhaupt nicht über­rascht, denn es passiert exakt das, was man bei dem schon lange vorhergesagten Klimawandel erwarten muss.“Ganz so voraussehbar allerdings waren die teils krassen Temperatursprünge keineswegs. Der vergangene Monat war mit Abstand der heißeste je gemessene Monat auf Erden, und der Juli wird mit großer Wahrscheinlichkeit auch diesen Rekord noch toppen. Ist das also der ganz normale Klimawandel? Rockström sagt: „Es ist zu früh, darüber zu spekulieren, ob wir Kipppunkte im Klimasystem überschritten haben.“ Auch Latif und Otto sind vorsichtig, wenn es um plötzliche und möglicherweise unumkehrbare Klimaveränderungen geht. „Wir verschieben die Klimakurve in Richtung Wetterextreme, das Polareis schmilzt wohl schneller, aber ich glaube nicht, dass wir schon einen Kipppunkt überschritten haben“, sagt Latif.

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