Sie heißen Gennadi Timtschenko, Wladimir Potanin, Pjotr Olegowitsch Awen oder Roman Abramowitsch. Viele der russischen Oligarchen und Superreichen, die als Freunde von Russlands Präsident Wladimir Putin gelten, haben eines gemeinsam: Sie stehen – als Reaktion auf den russischen Ukraine-Feldzug – auf den Sanktionslisten des Westens.
Vier Prozent der rund 2200 Milliardäre und weitere zwei Prozent der Superreichen mit einem Vermögen von mehr als 50 Millionen US-Dollar im Jahr 2020 waren Russen, rechnet der jüngste Kunstmarktreport der Art Basel und der Großbank UBS vor.
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in den Neunzigerjahren reich geworden, waren sie bald gerngesehene Gäste auf den Kunstmessen von Basel, Tokyo und New York. Oder gelangten in die Kundenkarteien der Auktionshäuser. Manche warfen mit Geld förmlich um sich, schmückten ihren neuen Reichtum mit teurer Trophäen-Kunst.
Oligarchen ziehen sich freiwillig zurück
Nun sind ihre Auslandsvermögen zum Teil eingefroren. In London etwa musste FC-Chelsea-Eigner Roman Abramowitsch die Kontrolle über seinen Fußballverein abgeben. Anderen droht, was vielleicht noch schwerer wiegt, der Verlust gesellschaftlicher Anerkennung: So büßte Olegowitsch Awen, Leiter der Alfa Group, Russlands größter Geschäftsbank, seinen Platz im Board der Londoner Royal Academy ein. Eine Spende Awens für die laufende Francis-Bacon-Ausstellung der Academy überwies das Institut zurück. Im New Yorker Guggenheim Museum verließ Wladimir Potanin das oberste Beratungsgremium. Sein Geld wird dem privat finanzierten Guggenheim fehlen.
Sie kaufen, was Rang und Namen hat: Mit ihren Millionen haben Russlands Oligarchen sich über Jahre Einfluss in der Kunstwelt verschafft und den globalen Kunstmarkt geprägt:.
So schrieb Abramowitsch Kunstmarktgeschichte, als er 2008, wenige Monate vor der Pleite der Lehman Brothers, bei Sotheby’s ein Triptychon von Francis Bacon zum damaligen Rekordpreis von 86,3 Millionen Dollar ersteigerte – und fast zeitgleich ein Bild von Lucian Freud bei Christie’s für 33,6 Millionen Dollar. Bereits 2006 hatte Boris Iwanschwili, der 2011 die russische Staatsbürgerschaft aufgab, bei Sotheby’s den Zuschlag für Pablo Picassos “Dora Maar au chat” erhalten – für 95,2 Millionen US-Dollar.
Offen ist, welchen Anteil die Oligarchen noch an den jüngsten März-Auktionen in London hatten. Dazu schweigen die Auktionshäuser. Als sicher gilt, dass die Schwerreichen Russlands über beachtliche Werte in Kunst-Anlagen verfügen. Vieles dürfte außer Landes sein, vorzugsweise in Zollfreilagern in der Schweiz, Liechtenstein oder Luxemburg etwa. “Was dort ruht, ist ein großes Geheimnis”, notiert die Frankfurter Allgemeine Zeitung treffend, “wie so einiges im von Diskretion und Intransparenz geprägten Geschäft mit der Kunst.”
US-Kongress legt Kunstmarkt-Gebaren offen
So kann es trotz Sanktionen gelingen, Millionen im Kunsthandel zu verschieben, wie bereits 2020 ein Bericht des US-amerikanischen Kongresses offengelegt hat. Findige Oligarchen nutzten dafür Briefkastenfirmen, wickelten Offshore-Geschäfte ab oder versteckten sich hinter Strohmännern und -frauen. Die Kunstindustrie, so der US-Bericht, sei der “größte, gesetzlich nicht regulierte Markt in den Vereinigten Staaten”. Die Gesetzgeber dort, aber auch in Europa verschärften danach ihre Regeln gegen Geldwäsche. Seither gilt das “Know Your Customer”-Prinzip (KYC), die Identitätsprüfung des Kunden.
Das KYC-Verfahren bei Christie’s konzentriert sich neben der Prüfung von Identität und Liquidität auf den permanenten Abgleich mit Sanktionslisten, nicht anders bei Sotheby’s oder dem in russischer Hand befindlichen Auktionshaus Phillips. Hier wie dort arbeiten die Compliance-Abteilungen auf Hochtouren. Sotheby’s, das ebenso wie Christie’s und Phillips ein Büro in Moskau unterhält, teilt mit: “Wir verfolgen die Entwicklungen im Zusammenhang mit den Sanktionslisten aufmerksam und werden uns an alle geltenden Vorschriften halten.” Ähnliches versicherte Christie’s-Chef Dirk Boll.
Es liegt wohl auch im Interesse der Auktionshäuser. Andernfalls drohen ihnen Imageverlust oder Strafen. Beim Berliner Auktionshaus Grisebach will man vorläufig ganz auf russische Kunden verzichten und so ein “scharfes Signal der Solidarität mit der Ukraine” setzen, wie Geschäftsführerin Diandra Donecker der FAZ sagte. Ob das alles ausreicht, die Sanktionen nicht zu unterlaufen?
Sanktionen kein Hindernis für Kunstgeschäfte
Ein Gegenbeispiel lieferten Boris Rotenberg, ein Jugendfreund Putins, und sein Bruder Arkadi Rotenberg, Eigner der SMP-Group, des größten Bauunternehmens für Gaspipelines in Russland und wichtiger Auftragnehmer des russischen Energiekonzerns Gazprom. Die Brüder waren bereits 2014, nach der russischen Einnahme der Krim, mit Sanktionen belegt worden. Ihrer Leidenschaft für Kunst tat das keinen Abbruch, wie 2017 die “Panama-Papers” enthüllten: Für 7,5 Millionen US-Dollar verkauften sie Magrittes Ölgemälde “La Poitrine”, wie das Fachblatt “The Art Newspaper” unlängst erinnerte.
Wie sehr der internationale Kunstmarkt von den Rotenbergs und Awens, den Potanins, Timtschenkos oder Abramowitschen trotz aller Sanktionen auch künftig profitieren wird, lässt sich kaum abschätzen. Zu lückenhaft ist die Dokumentation von Kunstgeschäften in Auktionen und in Galerien, erst recht aber im diskreten Privatverkauf. Gleichwohl dürfte die Kunstwelt verfolgen, ob bei den anstehenden Frühjahrs-Auktionen in New York wiedererkennbare “Trophy Art” aus Oligarchenbesitz auf dem Markt kommt. Für London sagten Christie’s, Sotheby’s und Bonhams ihre Juni-Auktionen russischer Kunst schon einmal ab.