Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat für die Zukunft „die eigene Stärke“ Deutschlands und der westlichen Demokratien beschworen und eine massive Steigerung der Ausgaben für die Bundeswehr angekündigt. Er stellte in einer Regierungserklärung vor dem Bundestag, der am Sonntag auf sein Verlangen hin zu einer Sondersitzung zusammengekommen war, auch stärkere Bemühungen in Aussicht, Deutschland von russischem Gas unabhängig zu machen. Der Bundeskanzler vollzog dabei eine vollständige sicherheitspolitische Wende seiner Partei.
Er kündigte ein Sondervermögen „Bundeswehr“ in Höhe von 100 Milliarden Euro an, das seinem Wunsch nach sogar im Grundgesetz verankert werden soll, und versprach, künftig werde der Wehretat jährlich ein größeres Volumen als zwei Prozent des Bundesinlandsprodukts haben – ein Umfang, der von der SPD bislang nie zugebilligt worden war.
Scholz stellte außerdem die Anschaffung bewaffneter Drohnen für die Bundeswehr als Faktum dar, die bis vor kurzem von seiner Partei noch in Zweifel gezogen worden war; gleiches galt für die Fortsetzung der nuklearen Teilhabe und die Ausrüstung neuer Kampfjets, die weiterhin fähig sein sollen, amerikanische Atombomben zu tragen.
Scholz formuliert „fünf Handlungsaufträge“
„Wir wollen und werden unsere Freiheit, unsere Demokratie und unseren Wohlstand sichern“, beteuerte Scholz. Der russische Präsident Wladimir Putin habe mit seinem Überfall auf die Ukraine einen Angriffskrieg vom Zaun gebrochen und eine Zeitenwende verursacht. Scholz beschrieb „fünf Handlungsaufträge“ für seine Regierung. Er nannte als erstes die Unterstützung der Ukraine „in dieser verzweifelten Lage“. Hier begründete Scholz eine weitere politische Kehrtwende. Deutschland sei nun bereit, der Ukraine auch „Waffen zur Verteidigung des Landes“ zu liefern, sagte er unter dem Beifall der Regierungsfraktionen und der Unions-Opposition. Der ukrainische Botschafter Andrij Melnik applaudierte von der Tribüne im Reichstagsgebäude aus mit.
Scholz begründete die Kehrtwende bei den Waffenlieferungen mit der Feststellung, Putin habe mit seinem Überfall auf die Ukraine eine neue Realität geschaffen. Diese neue Realität erfordere „eine klare Antwort“. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sekundierte ihm in dieser Begründung. Sie sagte, Putins Krieg gelte nicht nur der Ukraine, es sei auch ein Angriff auf die Freiheit und auf die regelbasierte internationale Ordnung. Sie äußerte, „wenn unsere Welt eine andere ist, dann muss auch unsere Politik eine andere sein“. Putins Krieg mache es nötig, „dass wir die Grundfesten unseres außenpolitischen Handelns neu ziehen“.
Baerbock erinnerte daran, dass sie vor wenigen Wochen im Bundestag selbst noch die Lieferung von Waffen an Kiew abgelehnt habe mit dem Argument, wenn man eine 180-Grad-Wende in der Außenpolitik unternehme, dann müsse dies im richtigen Moment und bei vollem Bewusstsein geschehen. Sie sagte, „jetzt ist der Moment dafür“. Und sie gestand zu, „vielleicht ist es so, dass Deutschland am heutigen Tag eine Form besonderer und alleinstellender Zurückhaltung in der Außen- und Sicherheitspolitik hinter sich lässt“.
Als nächstes Handlungsfeld beschrieb Scholz in seiner Regierungserklärung die Sanktionen, die Putin „von seinem Kriegskurs abbringen“ sollten. Der Krieg sei eine Katastrophe für die Ukraine, er werde sich aber auch als eine Katastrophe für Russland erweisen. Er verkündete unter anderem die Absicht, „wichtige russische Banken vom Banken-Kommunikationsnetz SWIFT“ auszuschließen; ein Schritt, gegen den sich die deutsche Regierung lange gesträubt hatte. Nun soll diese Sanktion nicht mehr das komplette russische Finanzsystem treffen, sondern auf jene Banken beschränkt sein, die zuvor schon durch die ersten Einschränkungsbeschlüsse sanktioniert worden waren.
Ein einziger maliziöser Moment
Es sei eine dritte große Aufgabe, zu verhindern, dass „Putins Krieg auf andere Länder in Europa übergreift“, sagte Scholz. Er beteuerte die deutsche „Beistandspflicht“ in der NATO und zählte auf, welche Leistungen die Bundeswehr schon in den vergangenen Tagen zur Stärkung der Ostflanke der NATO unternommen hat.
Das vierte Handlungsfeld seien „deutlich mehr Investitionen“ in „die Sicherheit unseres Landes“. Zu den Ankündigungen, für Investitionen in die Bundeswehr einen Sonderschuldenfonds in Höhe von 100 Milliarden Euro aufzulegen und den Wehretat Jahr für Jahr zu steigern, sagte Scholz, dies werde „ja wohl erreichbar sein für ein Land unserer Größe und unserer Bedeutung in Europa“.
Bei der Ankündigung des Bundeskanzlers, das NATO-Ausgabenziel von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Bundeswehr künftig zu überschreiten – da Deutschland damit „bei unseren Freunden und Alliierten im Wort“ stehe –, erhoben sich die Abgeordneten der Unionsfraktion zu einem ironisch gefärbten Sonder-Applaus. Es war zunächst der einzige maliziöse Moment in dieser ernsten Debatten-Stunde.