Überführt. Einmal mehr. Weitere wissenschaftliche Indizien belasten den Weltklimawandler Mensch, und diesmal ist die Last besonders erdrückend. Buchstäblich. An die fünfzig Grad in Jacobabad in Pakistan, wochenlang Temperaturrekorde, in Indien die höchsten Werte seit 122 Jahren – mehr als 70 Prozent Indiens und 30 Prozent Pakistans waren von Anfang März bis in den Mai hinein von einer unerträglichen und in vieler Hinsicht historischen Hitzewelle getroffen worden. Der März war in Indien durchweg um drei bis acht Grad über dem langjährigen Mittel in dieser Jahreszeit. Ein Zehntel der Weltbevölkerung am biologischen Limit.
Dazu kamen Waldbrandserien vor allem in vielen Gebieten und zuletzt gewaltige Fluten in vielen Teilen Südasiens, die die Monsun-Zeit ankündigten. Zusammen mit der wochenlangen trockenen Dauerhitze, die insgesamt Niederschlagmengen von zwei Drittel unterhalb der durchschnittlichen Werte ergaben, brachten diese Wetterkatastrophen nur Unheil. Neunzig Menschen sind an den Hitzefolgen gestorben, mindestens, denn das sind nur die offiziellen Meldezahlen. Dazu kommen ungezählte Hitzeopfer in Kliniken und abgelegenen Dörfern, Kraftwerksausfälle in vielen Regionen und Millionen Menschen ohne funktionierende Klimaanlagen. Außerdem dürfte die Ernte in der – neben der Ukraine – zweiten Weizenkornkammer der Welt in Indien und Pakistan ersten Schätzungen zufolge übers Jahr gerechnet um zwanzig Prozent eingebrochen sein – verglichen mit normalen Jahren. Tatsächlich aber hatte sich wegen der günstigen Bedingungen Anfang des Jahres vor allem Indien mit einer weit überdurchschnittlichen Ernte gerechnet. Zehn Millionen Tonnen sollten exportiert und die Ausfälle in der Ukraine wenigstens teilweise kompensiert werden. Statt dessen jetzt: Exportverbot in Indien, Nahrungsmangel anderswo und weltweit steigende Weizenpreise.
Wetterdaten bis zurück ins Jahr 1951
Das alles geht wohl zu großen Teilen auf das Konto der globalen Klimaerwärmung um bisher 1,2 Grad seit Beginn der Industrialisierung. Um das Dreißigfache habe der Klimawandel bereits die Wahrscheinlichkeit von Megahitzewellen wie die aktuelle im Nordwesten Indiens und Südosten Pakistans vergrößert.
Das ist das Ergebnis einer bislang noch als Preprint veröffentlichten – also nicht begutachteten – Analyse der World Weather Attribution Intitiative (WWA). Dieser internationale Forscherverbund untersucht seit einigen Jahren systematisch den möglichen Einfluss des Klimawandels auf extreme Wetterereignisse wie Stürme, extreme Regenfälle, Hitzewellen, Kälteperioden und Dürren. Dutzende frühere Studien der von der deutschstämmigen Klimaforscherin Friederike Otto mit gegründeten WWA-Gruppe hatten insbesondere für Extremhitzewellen starke Belege geliefert, dass die jeweiligen Katastrophen ohne den menschengemachten Klimawandel praktisch unmöglich gewesen wären. Otto ist seit einiger Zeit am Grantham Institute des Imperial College in London tätig. Ihre statistischen Methoden und die für solche „Klimawandel-Zuordnungsstudien“ entwickelten Computeralgorithmen sind dabei auf möglichst lange, zuverlässige Wetterdatenreihen angewiesen. Für die von der aktuellen Hitzewelle betroffenen Regionen konnten die Forscher auf systematische Beobachtungsdaten zurück greifen, die für die gesamte Untersuchungsregion bis ins Jahr 1979 zurück reichen. Das ist angesichts der Seltenheit von so extremen Wetterereignissen nicht sehr lange. Aus diesem Grund werden die Messreihen durch globale und regionale Klimamodellierungen ergänzt, in der neuen Studie mit nicht weniger als zwanzig Klimasimulationen.
Aus einer 1951 gestarteten indischen Datenreihe konnte statistisch ermittelt werden, dass eine Hitzewelle wie die aktuelle mit großer Wahrscheinlichkeit nicht mehr als einmal alle hundert Jahre vorkommt – bei der aktuellen globalen Erwärmung um 1,2 Grad. Noch viel seltener müssen sie vor der industriellen Treibhausgas-Anreicherung gewesen sein. Damals wären die Temperaturen einer Megahitze in den untersuchten Regionen im Schnitt mutmaßlich um mindestens ein Grad niedriger ausgefallen. Und auch das lässt sich aus den Klimamodellen mit einiger Wahrscheinlichkeit ablesen: Steigen die Temperaturen global auf zwei Grad, lägen die Temperaturmaxima nochmal um mindestens ein halbes bis anderthalb Grad höher und die Wahrscheinlichkeit einer vergleichbaren Extremhitze würden um das Zwei- bis Zwanzigfache steigen. Mindestens, so die Forscher, denn sie sind überzeugt, dass ihre Annahmen und Berechnungen in dem Fall angesichts der Datenunsicherheit eher vorsichtig – im Expertensprech: konservativ – sind
Dabei gibt es noch ein Extremszenario, das über die Katastrophe dieser Tage hinaus geht. In ihrer mehr als vierzigseitigen Studie erwähnen die Wissenschaftler um Otto die Hitzewelle im Juni 2015, als offiziell mindestens 3500 Menschen als direkte Opfer der Hitze dokumentiert wurden. Damals hatte die Monsun-Zeit bereits begonnen und die Feuchtigkeit in der Luft entsprechend hoch, womit die für die menschliche Physiologie besonders problematische Feuchttemperatur den Körpern noch stärker zusetzte. Bei stark feuchtigkeitsgesättigter Hitze können schon dauerhafte Temperaturen von mehr als 35 Grad das kühlende Schwitzen unmöglich und damit die lebensgefährliche Überhitzung des Körpers sehr wahrscheinlich machen (siehe unseren Beitrag „Gefangen in der Dampfhölle“.
Die Megahitze der vergangenen Wochen war in den meisten Gebieten Indiens und Pakistans eine extrem trockene Hitze. Befördert wurde sie nach den Befunden der Klimaforscher auch zum Teil von der Klimaanomalie La Nina, die Monate lang vom Zentralpazifik aus das Weltklima beeinflusst und großräumig die Luftströmungen in der hohen und niederen Atmosphäre mit geprägt hat. Entscheidender aber, davon sind die Klimaforensiker des WWA überzeugt, waren die durch den Klimawandel bedingten physikalischen Ausgangsbedingungen. Friedrike Otto: „So lange die Treibhausgas-Emissionen weiter steigen, werden solche Katastrophen immer üblicher werden.“