Corona hat das Musikleben stark beeinträchtigt und doch lässt sich aus der Krise einiges lernen. So sieht es jedenfalls Christian Höppner, Generalsekretär des Deutschen Musikrats: “Wir sollten die Corona-Zeit jetzt stärker als Chance betrachten und kulturelles Leben auch unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit zukunftsfest machen.” Dabei geht es nicht nur um die Natur und den Klimaschutz, sondern auch um die Nachhaltigkeit bei der Förderung junger Musiker und Musikerinnen.
Die finanziellen Corona-Hilfen in Deutschland, aber auch international seien beispielhaft gewesen, sagt Höppner. Dennoch haben viele Musiker ihren Beruf aufgegeben und krisenfestere Arbeit gesucht. Selbst Studienanwärter mit bestandener Aufnahmeprüfung haben das Musikstudium gar nicht erst angetreten. “Das wäre vor Corona undenkbar gewesen. Da war eine bestandene Aufnahmeprüfung wie ein Sechser im Lotto. Es hat eine sehr starke Umorientierung stattgefunden”, sagt Christian Höppner im Gespräch mit der DW.
Nachhaltigkeit vom Büro bis ins Orchester
Einige Festivals und Orchester gehen aktiv voran, was den Umgang sowohl mit der Natur, als auch mit ihren Künstlern anbelangt. Die gesamte Belegschaft der Dresdener Musikfestspielen macht zum Beispiel mit beim städtischen Pilotprojekt “Culture for Future” zur Nachhaltigkeit in Kulturbetrieben. “Es beginnt mit unserer Einstellung. Wir müssen bei jedem Planungsvorgang den Aspekt der Nachhaltigkeit im Auge haben”, erläutert Intendant Jan Vogler im Gespräch mit der DW. Egal ob im Büro, beim Marketing oder bei der Konzertgestaltung.
Es werden mehr Tickets digital versandt, ebenso wie Newsletter, Broschüren, Programmhefte und das Festivalmagazin. Die Buffets für die Künstler kommen aus der Region, statt Plastikflaschen gibt es Glasflaschen. Und bei der Beförderung der Künstler mit ihren Instrumenten setzen die Festspiele auf Elektrofahrzeuge vor Ort. Man stehe noch am Anfang des Prozesses, sagt Vogler, aber das Team sei mit viel Enthusiasmus dabei.
Reisen mit ökologischem Fußabdruck
Als 2020 nahezu weltweit der Flugverkehr wegen der Corona-Pandemie stillstand, da mussten auch Orchester ihre Tourneen absagen. Die Frage kam auf, ob Ensembles überhaupt so viel kreuz und quer durch die Welt jetten müssen. Natürlich würden sich die Menschen im Zuge der Corona-Lockerungen wieder danach sehnen, Musik live zu erleben, sagt Christian Höppner vom Deutschen Musikrat, “Ich glaube nur, dass über diese Grundsehnsucht ein Filter gelegt werden wird. Es kommt keiner mehr dran vorbei, sich zu fragen: Wie nachhaltig ist das eigentlich was wir hier tun?”
Dass es so nicht weiter gehen könne im “Touringbuisiness”, habe sich schon vor Corona abgezeichnet, sagt Steven Walter, der in diesem Jahr die Intendanz beim Beethovenfest in Bonn angetreten hat. Er möchte gerne weg vom großen Orchestertourismus hin zu einer nachhaltigen Beziehung mit den Ensembles. Die Musiker sollen weniger reisen und stattdessen ein bis zwei Wochen vor Ort bleiben und so das Festival prägen. “Für uns ist das auch künstlerisch interessant, um spezifische Projekte und Ideen zu entwickeln für eine einzigartige Profilierung des Festivals”, sagt Walter.
CO2 Ausstoß vermeiden
Für die Dresdener Festspiele als Gastspielbetrieb oder auch das Rheingau Musikfestival, das internationale Künstler zum Publikum bringen will, sind Flugreisen nicht immer vermeidbar. Dennoch könne man die Reisen der Künstler nachhaltiger gestalten, meint Jan Vogler. “Wir versuchen, die Lage von Dresden zu nutzen: Berlin, Prag und selbst Wien sind nah, in diesen Städten gibt es Veranstalter, die oft nach uns oder vor uns die gleichen Künstler präsentieren.”
Auch Orchester achten darauf, Tourneen so zu legen, dass die Wege möglichst kurz sind. Gerade erst waren die Berliner Philharmoniker auf Konzerttournee in Österreich, Slowenien und Kroatien. Zwischen den jeweiligen Auftrittsorten haben sie den Bus genutzt. “So etwas freut im Übrigen auch die Künstler”, sagt Intendant Jan Vogler, “sie wurden oft unsinnig im zickzack durch die Welt geschickt. Solange es machbar war, hat niemand daran gedacht, dass es auch für sie oft eine Tortur war, diese Reiserouten und die Konzerte zu bewältigen.”
Ein Wald für Johann Sebastian Bach
Für die gefahrenen und geflogenen Kilometer kann man Abgaben zum Ausgleich für den CO2 Ausstoß zahlen. Die Gelder kommen Klimaschutzprojekten zu Gute. Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen wurde auf diese Weise 2020 noch vor der Coronakrise als klimaneutral zertifiziert und fährt innerhalb Deutschlands nur noch mit der Bahn.
Auch das Beethovenfeststrebt eine Klimapartnerschaft mit einem Energiekonzern an, um Klimaschutzprojekte zu unterstützten. Konkreter ist das Umweltengagement beim Leipziger Bachfest, das mit 73.000 Besuchern aus aller Welt vor Corona ein großes internationales Publikum nach Leipzig lockte. Intendant Michael Maul sammelt Gelder, um das Projekt “Wald für Sachsen” zu unterstützen und einen“Johann-Sebasti an-Bach-Wald” in der Nähe eines einstigen Braunkohlegebiets pflanzen zu lassen.
Musik-Streaming als Lösung?
Streamings und Videokonferenzen begleiten den digitalen Wandel, der durch die Coroankrise beschleunigt wurde. Viele Branchen, so auch die Musikbranche, haben aus der Not eine Tugend gemacht. Gemeinsam mit den Thüringer Bachwochen und den Bachfesttagen Köthen hat das Bachfest Leipzig im vergangenen Jahr eine eigene Plattform gegründet, auf der auch nach der Corona-Pandemie ausgewählte Konzert-Streams präsentiert werden.
Längerfristig ist allerdings auch das Streaming mit seinem hohen Energieverbrauch nicht ganz so nachhaltig. Jan Vogler aus Dresden versucht deshalb, auch Kontakte vor Ort zu pflegen und Meetings mit Konzerten zu verbinden. “Es ist fast nicht mehr denkbar für mich, nach einem London- oder Paris-Konzert direkt abzureisen. Ich bleibe meist einen Tag länger und treffe systematisch die Partner, mit denen wir dort zusammenarbeiten.”
Der Mensch als Teil der Natur
Was ist uns die Kultur wert? Diese Frage wurde oft gestellt, wenn es um die Corona-Beschränkungen im Kulturbetrieb ging. “Ist der Musikbetrieb der Spiegel weniger großer Stars, die damit Millionen verdienen, oder ist Kultur wirklich das tägliche Brot, das der Mensch zum Leben braucht?” Wenn Letzteres zutrifft, so meint Christian Höppner, dann müsse man auch das Musikleben selbst mit nachhaltigen Strukturen unterfüttern. Statt Musikunterricht gäbe es an vielen Schulen oft nur kurze Projektphasen, und auch Fördergelder für Nachwuchskünstler flössen gerne in befristete Projekte, die nicht nachhaltig seien. Die Corona-Krise habe aber gezeigt, wie schnell der Nachwuchs wegbricht.
Steven Walter vom Beethovenfest sieht ebenfalls strukturelle Probleme bei der Musik-Förderung und nimmt sich selbst mit in die Verantwortung: “Man hat als Veranstalter eine Verantwortung was die Humanressourcen angeht, um die Künstler zu schonen.” Das beträfe auch den Umgang mit Talenten. “Man darf sie nicht verheizen und dann fallen lassen. Es geht darum, nachhaltig in die Karrieren zu investieren, auch, wenn es mal gerade nicht so gut läuft.”
“Alle Menschen” lautet das Motto des diesjährigen Beethovenfestes. Dabei steht das Thema Diversität im Vordergrund. Im nächsten Jahr soll es um das Verhältnis zwischen Mensch und Natur gehen. Dann vielleicht auch schon mit einem Zertifikat zur Klimaneutralität für den ökologischen Fußabdruck.