Die DKMS ist ja in ganz vielen Ländern der Welt aktiv, auch in Polen. Dort hat eine Kollegin schon kurz nach dem Ausbruch des Kriegs geholfen, Transporte zu organisieren, um Patienten von der ukrainisch-polnischen Grenze in polnische Krankenhäuser zu bringen. Für uns hier in Deutschland wurde klar, dass die Aufnahme von Patienten bald auch auf uns zukommen würde. Da ich in meiner Abteilung „Transplant Center Services“ weltweit Register, Transplantationskliniken und Sucheinheiten betreue, habe ich nun zu unseren Kliniken in Deutschland Kontakt aufgenommen, um die dortigen Kapazitäten abzufragen. Einer meiner ersten Anrufe galt der Charité in Berlin. Von dort wurden wir dann am Freitagabend auch kontaktiert, ob wir übers Wochenende Transporte organisieren könnten.
Und dann haben Sie sich ans Telefon geklemmt?
Genau. Ich habe zum einen angefangen, Transportunternehmen zu recherchieren. Erst sollte es auch einen Transport Richtung Kiel und Lübeck geben, letztlich habe ich mich dann aber um einen Transport Richtung Rhein-Main-Gebiet und nach Heidelberg gekümmert. Aus einer Klinik im polnischen Malogoszcz, das liegt rund 450 Kilometer von Görlitz entfernt, die als eine Art Verteilzentrum für pädiatrische Patienten aus der Ukraine fungiert, haben wir Patientennamen sowie Diagnose erhalten. Letztlich waren es sieben Patientinnen und Patienten zwischen fünf und 16 Jahren mit Begleitung, 15 Personen insgesamt, die von zwei polnischen Fahrern an eine Autobahnraststätte bei Görlitz gebracht wurden. Als ich erfahren habe, dass nur vier Pässe dabei haben, habe ich beim Bundesgrenzschutz angerufen, um abzuklären, ob das ein Problem ist und ob sich alle an der Grenze zu Deutschland registrieren lassen müssen.
Wie lautete die Antwort?
Der Mann vom Grenzschutz war sehr kooperativ, hat gesagt, er wolle die Kinder nicht aufhalten. Alle Businsassen könnten sich später in Deutschland registrieren lassen, weil das an der Grenze pro Person 15 Minuten dauern würde, was ja noch mal drei Stunden zusätzliche Reisezeit bedeutet hätte. Wenn sie auf der Autobahn in eine Stichprobenkontrolle gekommen wären, hätten sie ihn anrufen lassen können, damit er bestätigt, dass alles okay ist.
Und Sie hatten unterdessen ein Transportunternehmen gefunden?
In Görlitz hat sich das Unternehmen Taxi Hoffmann sofort bereit erklärt, die Fahrt mit zwei Kleinbussen zu übernehmen. Auf eigene Kosten haben sie Lunchpakete zusammengestellt, obwohl wir die Verpflegung natürlich auch bezahlt hätten. Die waren toll.
Etwa neun Stunden nach der Übernahme der Kinder und ihrer Begleitpersonen an der Autobahn bei Görlitz ist der letzte Patient mitten in der Nacht in der Heidelberger Uniklinik angekommen. In der Frankfurter und in der Mainzer Uniklinik sind jeweils drei der jungen Patienten aufgenommen worden. Das ist nun etwa eine Woche her. Wissen Sie, wie es den Kindern jetzt geht?
Nein, das habe ich bislang noch nicht nachverfolgen können, momentan ist einfach zu viel los. Ich weiß nur, dass sie teilweise erst einmal in Quarantäne mussten, weil sie positiv getestet wurden. Es kann auch sein, dass sie nach der Quarantäne noch mal in Deutschland verlegt werden, zum Beispiel, weil eine Stammzelltransplantation vorgesehen ist, was nicht an jeder Klinik gemacht wird. Zwei richtig gute Nachrichten habe ich aber schon: Bei zwei der sieben Kindern ist bereits eine Stammzellspende geplant, es gibt also einen passenden Spender, um ihre Leukämie hoffentlich zu heilen. Das stand auch schon vor dem Ausbruch des Kriegs fest, aber diese Transplantationen hätten natürlich in Kiew stattgefunden. Jetzt wird das in Deutschland passieren.