Soll es mit der Fortpflanzung klappen, müssen gewöhnlich zwei Geschlechter im Spiel sein. Doch warum eigentlich? Schließlich ist die Suche nach passenden Partnern oft ziemlich mühsam, und die Produktion von Nachwuchs kann auch ohne Sex funktionieren. Bei der Parthenogenese zum Beispiel, auch als Jungfernzeugung bekannt, entwickeln sich die Nachkommen aus unbefruchteten Eizellen. Ein paar Reptilien verwenden diese unkomplizierte Methode, Wasserflöhe und manche Insekten nutzen sie häufiger. Aus gutem Grund hat sich die Parthenogenese aber nur selten als Erfolgsrezept der Evolution erwiesen. Dass sie, ähnlich wie Inzucht, die genetische Vielfalt stark reduziert, bestätigte kürzlich eine Studie an Stabheuschrecken.
Als Forschungsobjekte dienten Vertreter der besonders urtümlichen Gattung Timema, die überwiegend in Kalifornien heimisch ist. Von den gut zwanzig Arten dieser eher unscheinbaren Insekten pflanzen sich fünf durch Parthenogenese fort. Wissenschaftler um Kamil Jaron und Darren Parker von der Universität Lausanne nahmen das Genom dieser fünf Stabheuschrecken unter die Lupe und zogen zum Vergleich jeweils die am engsten verwandte Spezies heran, die sich sexuell vermehrt.
Bei sexueller Fortpflanzung erben die Sprösslinge ihre genetische Ausstattung zur Hälfte von der Mutter und zur Hälfte vom Vater. Oft steuern die beiden Elternteile ganz unterschiedliche genetische Varianten bei. Wie Jaron und Kollegen in den „Science Advances“ berichten, liegen diese Unterschiede bei Stabheuschrecken, die sich sexuell vermehren, im üblichen Rahmen.
Bei Arten, die Parthenogenese praktizieren, erbt der Nachwuchs dagegen beide Ausgaben seiner DNA von der Mutter. Dass diese zwei Versionen recht ähnlich daherkommen, war zu erwarten. Die Unterschiede entpuppten sich sogar als dermaßen gering, dass sie sich nur schwer quantifizieren ließen. Variationen, die sich auf einzelne Bausteine der DNA beschränken, treten nach Schätzung von Jaron und Kollegen mindesten hundertvierzigmal so selten auf wie bei Verwandten, die sexuell aktiv sind. Drastischere Veränderungen wie duplizierte oder verkehrt herum eingebaute Abschnitte fanden sich bei Arten mit Parthenogenese ebenfalls fast immer in beiden Ausgaben der DNA.
Erfolgsgeschichte in einem brandgefährlichen Lebensraum
Während der Zellteilung, aus der die Eizellen hervorgehen, können sich die beiden Versionen der DNA zwar verändern, indem sie Teilstücke untereinander austauschen. Ähnlich wie bei massiver Inzucht ist die genetische Vielfalt, die dadurch entstehen kann, aber eng begrenzt. Schließlich ist nie ein Partner im Spiel, der neue Varianten einbringen könnte. Bei Stabheuschrecken, die Parthenogenese praktizieren, scheint die überwiegende Mehrzahl der spärlichen genetischen Varianten erst nach dem konsequenten Verzicht auf Sex durch Mutationen entstanden zu sein.
Wenn sich Stabheuschrecken stets ohne Sex fortpflanzen, haben sie nicht nur weniger Potential, sich an veränderte Lebensbedingungen anzupassen. In ihrem Genom sammeln sich auch schneller schädliche Mutationen an als bei Spezies, die sich sexuell vermehren. Doch warum hat sich die Parthenogenese trotz aller Nachteile bei einigen Stabheuschrecken der Gattung Timema als Fortpflanzungsstrategie bewährt? Vermutlich hängt diese Erfolgsgeschichte mit dem brandgefährlichen Lebensraum zusammen, in dem sich die flügellosen Insekten tummeln: Da kalifornisches Buschland häufig von Feuer heimgesucht wird, sind entsprechend oft Pioniere gefragt, die abgebrannte Gebiete rasch wieder bevölkern. In dieser Situation dürften die genetischen Nachteile, die Parthenogenese mit sich bringt, von dem Vorteil vermehrungstechnischer Autarkie aufgewogen werden: Auch wer allein auf weiter Flur herumkrabbelt, kann Nachwuchs produzieren.
Anders als Stabheuschrecken können Blattläuse die Vorteile von Parthenogenese und Sex gleichermaßen nutzen. Für ihre Fähigkeit, in kurzer Zeit große Populationen aufzubauen, sind diese zarten kleinen Insekten bei Gärtnern und Landwirten berüchtigt: Mittels Jungfernzeugung liefern Blattläuse am laufenden Band Nachkommen, die sich ihrerseits in Windeseile vermehren. Zwischendurch bringen die meisten Arten jedoch hin und wieder eine Generation hervor, die nicht nur mit Weibchen unterwegs ist, sondern auch Männchen zu bieten hat. Dank dieser Gelegenheit zu sexueller Fortpflanzung können die Blattläuse ihre genetische Vielfalt bewahren – und damit auch ihre Anpassungsfähigkeit.