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Mann rast in Schülergruppe aus Hessen

Der Bereich rund um die Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche ist mit rot-weißem Band weiträumig abgesperrt. Polizisten achten darauf, dass niemand das Areal betritt. Rettungswagen der Feuerwehr fahren mit Blaulicht und Sirene davon. Dutzende Polizeifahrzeuge stehen auf der Tauentzienstraße, einer beliebten Einkaufsstraße im Westen Berlins, in die der Kurfürstendamm mündet. Der Bahnhof Zoo und das Kaufhaus KaDeWe liegen ganz in der Nähe. Es ist zwölf Uhr mittags. Vor anderthalb Stunden, um 10.26 Uhr, ist an dieser Stelle ein Autofahrer auf dem Gehweg in eine Gruppe von Passanten gefahren. Es soll sich um eine Schülergruppe auf Berlin-Besuch gehandelt haben.

Sechs Menschen wurden nach Angaben der Polizei lebensgefährlich verletzt, weitere drei schwer – alle wurden in Krankenhäuser der Stadt gebracht. Doch für eine Frau kam jede Hilfe zu spät, sie starb am Ort des Geschehens. Nach Angaben mehrerer Medien handelt es sich um eine 51 Jahre alte Lehrerin aus Hessen. Bei den schwer und lebensgefährlich Verletzten soll es sich um ihre Schüler aus dem nordhessischen Bad Arolsen im Landkreis Waldeck-Frankenberg handeln, wie die „Fuldaer Zeitung“ berichtete. Zudem gab es laut Feuerwehr mehrere Leichtverletzte.

Passanten hielten den Fahrer fest

Der Fahrer des Wagens, so teilt die Polizei mit, ist ein 29 Jahre alter Deutsch-Armenier, der in Berlin lebt. Er ist mit einem Kleinwagen, einem silberfarbenen Renault Clio, in die Gruppe auf dem Gehweg gefahren – offenbar mit hoher Geschwindigkeit, wie Augenzeugen berichten. Das geschah an der Ecke Tauentzienstraße/Rankestraße, unmittelbar gegenüber der Gedächtniskirche. Dann fuhr der Mann noch fast 200 Meter weiter bis zur Marburger Straße, lenkte das Fahrzeug abermals auf den Gehweg, touchierte ein anderes Auto, bis er mit seinem Wagen in die Schaufensterscheibe eines Parfümerie­ladens krachte, wo er zum Stehen kam. Das Auto stand danach zum Teil in der Filiale der Douglas-Kette, zum Teil auf dem Gehweg. In dem Laden gab es keine weiteren Verletzten.

Der Mann, so sagt es Polizeisprecher Thilo Calbitz an der Gedächtniskirche, sei zunächst von Passanten festgehalten worden. Ein Polizist, der sich in der Nähe aufhielt, konnte ihn festnehmen. Der Verdächtige wurde in Handschellen abgeführt. Er wurde ärztlich behandelt, konnte aber vernommen werden. Nach dem Vorfall habe er einen verwirrten Eindruck gemacht, berichteten Augenzeugen. Laut „Tagesspiegel“ heißt der Mann Gor H., er lebe mit seiner Schwester im Berliner Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf. Weil der Fahrer keine Papiere bei sich hatte, sei er bei der Bundespolizei am Zoo erkennungsdienstlich behandelt worden.

Die Polizei vermutete eine Amokfahrt

Mehrere Personen, die den Vorfall unmittelbar erlebten und unter Schock stehen, werden von Notfallsanitätern versorgt und von Seelsorgern in der Gedächtniskirche betreut. Die Polizei befragt dort auch Zeugen. Sie ist mit 130 Kräften im Einsatz, die Feuerwehr mit rund 60 Personen.

Am Ort, an dem das Auto die Menschen erfasste, sind weiße Zelte aufgebaut. Dort sichern Fachleute der Kriminalpolizei und des Verkehrsunfalldienstes Spuren, um den Ablauf des Geschehens zu rekonstruieren. Die Polizei hielt einen Terrorakt zunächst für unwahrscheinlich, sie vermutete eine Amokfahrt.

Die Gedanken an einen Terroranschlag liegen zunächst nahe. Denn hier fand vor wenigen Jahren einer der schwersten Terrorakte in Deutschland statt. Nur wenige Meter vom Ort des Geschehens befindet sich – auf der gegenüberliegende Seite der Gedächtniskirche – die Gedenkstätte für die Opfer des Anschlags vom 19. Dezember 2016. Damals war ein islamistischer Attentäter mit einem Lastwagen auf den Weihnachtsmarkt an der Kirche gerast. 13 Menschen kamen dabei ums Leben, mehr als 70 wurden zum Teil schwer verletzt. Die Fotos der Opfer stehen auch an diesem Mittwoch auf den Stufen des Gedächtnisortes. Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) zeigte sich am Mittwochvormittag tief betroffen und sprach den Angehörigen der Toten und der Verletzten ihr Mitgefühl aus. Angesprochen auf die Frage, was sie angesichts des Ortes des Geschehens gedacht habe, sagte sie dem Sender RBB: „Um Gottes Willen, nicht schon wieder!“ Giffey machte sich zusammen mit Innensenatorin Iris Spranger (SPD) am Nachmittag auf den Weg, um sich selbst ein Bild zu machen. Polizeipräsidentin Barbara Slowik hatte schon gegen Mittag den Ort des Geschehens aufgesucht.

Doch auch einen schrecklichen Unfall, der eine medizinische Ursache hatte, hat Berlin vor drei Jahren erlebt. Im September 2019 war ein Mann mit seinem schweren Wagen in der Invalidenstraße im Bezirk Mitte von der Fahrbahn abgekommen. Das Auto überschlug sich und tötete auf dem Gehweg vier Menschen, einen Dreijährigen und seine Großmutter sowie zwei junge Männer. Der Fahrer hatte einen epileptischen Anfall erlitten. Er war trotz seiner Erkrankung und einer Gehirnoperation nur einen Monat vor dem Unfall Auto gefahren. Er wurde im Februar 2022 zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren verurteilt.

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