Die überraschendste Reaktion auf Amber Heards Niederlage gegen Johnny Depp lieferte wohl die Bürgerrechtsorganisation American Civil Liberties Union (ACLU). Als Heard am Mittwoch nach dem Verleumdungsprozess gegen ihren früheren Ehemann via Twitter beteuerte, nicht nur persönlich enttäuscht zu sein, sondern auch um Frauenrechte und Meinungsfreiheit in den Vereinigten Staaten zu fürchten, blieb die Organisation still. Dabei hatte die ACLU, wie während der sechs Prozesswochen bekannt wurde, den Meinungsbeitrag für die „Washington Post“ verfasst, in dem sich die Schauspielerin Ende 2018 zwischen den Zeilen als Depps Opfer darstellte – und der sie nach der Entscheidung der Geschworenen nun mehr als acht Millionen Dollar Schadenersatz kostet.
Die New Yorker Bürgerrechtsorganisation scheint nach dem juristischen Schlagabtausch in Fairfax (Virginia) erkannt zu haben, dass Heard, früher durch die ACLU zur „Botschafterin für Frauenrechte mit Fokus auf geschlechtsspezifischer Gewalt“ stilisiert, nicht als Galionsfigur taugt. Während des Prozesses hatten Millionen Nutzer der Sechsunddreißigjährigen in sozialen Medien Scheinheiligkeit, Lügen und Bösartigkeit gegen Depp vorgeworfen.
Mit Depp wurde alles anders
Dabei bot sich der Nachwuchsstar aus Texas als Sympathieträgerin eigentlich an. Die Tochter einer Informatikerin und eines Bauunternehmers war auf einer Pferdefarm bei Austin aufgewachsen und hatte katholische Privatschulen besucht. Wie Heard den Geschworenen schilderte, zog sie als Siebzehnjährige erst nach New York und schließlich nach Los Angeles, um ihr Geld als Model und Schauspielerin zu verdienen. Bis zu ihrem Durchbruch in Hollywood mit den Filmen „The Fighters“ und „Ananas Express“ im Jahr 2008 spielte sie kleinere Parts oder stand für Kurzfilme vor der Kamera. Der Regisseur Jonathan Levine, der Heard für den Horrorfilm „All The Boys Love Mandy Lane“ besetzte, lobte sie damals für eine Mischung aus Schönheit und natürlicher Intelligenz.
Mit Depp, den sie im Jahr 2009 bei Dreharbeiten zu der Romanverfilmung „The Rum Diary“ traf, wurde alles anders. An der Seite des 58 Jahre alten Publikumsmagneten erlebte die Schauspielerin in Hollywood einen Höhenflug mit roten Teppichen, Privatjets und Luxusanwesen. Nach der Trennung im Mai 2016 wegen angeblicher verbaler, körperlicher und sexueller Übergriffe durch Depp zog sich sie zurück. Das Comeback folgte zweieinhalb Jahre später als Mera in der Comicverfilmung „Aquaman“ und, von der Bürgerrechtsorganisation ACLU zeitlich auf die Premiere abgestimmt, mit dem Meinungsartikel in der „Washington Post“.
War’s das jetzt in Hollywood?
Heards geplanter Befreiungsschlag blieb aber aus. Die Abfindung in Höhe von sieben Millionen Dollar, die Depp ihr bei der Scheidung zahlte, soll sie nach den gegenseitigen Verleumdungsklagen zum größten Teil in Anwaltshonorare investiert haben. Auch das Gros der Gage für „Aquaman“, immerhin drei Millionen Dollar, gab sie für juristische Unterstützung aus. Für eher bescheidene knapp 600.000 Dollar kaufte sich Heard ein Haus in der Wüstenstadt Yucca Valley, etwa 200 Kilometer entfernt von Los Angeles.
Dass ihre Hollywood-Karriere sich von dem Verleumdungsprozess erholt, halten viele Branchenbeobachter für unwahrscheinlich, auch weil sie vor Gericht über Spenden an die ACLU und ein Kinderkrankenhaus in Los Angeles gelogen hatte. Wie ihre Anwältin Elaine Bredehoft dem Sender NBC am Donnerstag sagte, fehlten ihrer Mandantin auch die Mittel, um den durch die Jury festgesetzten Schadenersatz an Depp zu zahlen. Ein Berufungsantrag gegen das Urteil in Fairfax sei aber bereits in Vorbereitung. Die Juristin, machte sie klar, glaube weiter an einen Sieg. Und an Heard.