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Moldau: Chaos im Transitverkehr

Der Grenzübergang Leuseni-Albita an der moldauisch-rumänischen Grenze. Über 100 schwer beladene LKW, überwiegend aus der Ukraine, der Republik Moldau und Rumänien, warten auf ihre Abfertigung. Die Fahrer sind nervös, die Hitze ist unerträglich, die Schlange iüber zehn Kilometer lang.

Dimitrii Gololobov, ein 46-jähriger LKW-Fahrer aus der ukrainischen Stadt Dnepropetrowsk, steht schon seit drei Tagen an. Sein LKW ist diesmal mit Haushaltswaren beladen, er fährt zum Entladen in ein Lager in Rumänien.

Die ukrainischen Häfen sind geschlossen und alle Lastwagen, einschließlich derjenigen, die Weizen transportieren, müssen durch die Republik Moldau fahren. Ich habe Kollegen, die Weizen zu rumänischen Häfen transportieren”, erzählt Dimitrii. Die Ukraine habe viel Weizen, besonders in der umkämpften Region Cherson. Aber die Russen hätten alles gestohlen: “Wir transportieren jetzt, was noch auf Lager ist”, fügt er bitter hinzu.

Vor Beginn der russischen Aggression brauchten ukrainische LKW-Fahrer etwa einen Tag, um die Republik Moldau und Rumänien zu durchqueren. Doch der Krieg hat alles verändert. Dimitrii muss viel Geduld aufbringen und denkt die ganze Zeit an seine Familie: “Meine Frau und zwei Kinder warten zu Hause auf mich. Das Mädchen ist verheiratet, der Schwiegersohn kämpft jetzt. Wir wurden überfallen, sie wollten uns ‘befreien’. Vor dem Krieg lebten wir sehr gut – von wem sollten sie uns denn ‘befreien’? Wir wurden angegriffen, aber wir haben der ganzen Welt gezeigt, dass wir kämpfen können.”

Logistische Katastrophe an der Grenze

Der Getreide-Export aus der Ukraine ist wegen der russischen Aggression fast ganz zum Erliegen gekommen. Es droht eine weltweite Hungerkatastrophe – die Ukraine zählt zu den wichtigsten Getreide-Produzenten. Alle ukrainischen Häfen sind vermint, moldauische und ukrainische Spediteure sind gezwungen, Umwege zu suchen, um ihr Ziel zu erreichen.

Iulian Postica ist Chef des Verbands Internationaler Transportunternehmer (AITA) in der Republik Moldau. Er sagt, die Grenzsituation sei praktisch eine logistische Katastrophe, da 80 Prozent aller Warentransporte durch die Republik Moldau auf der Straße durchgeführt würden: “Vor Kriegsbeginn erfolgte der Getreidetransport hauptsächlich über die Häfen in der Ukraine – sowohl an der Donau als auch am Schwarzen Meer. Mit der Blockade der ukrainischen Häfen und des gesamten Schwarzmeerverkehrs gibt es große Schwierigkeiten. Die Umleitung erfolgt jetzt über die Republik Moldau in Richtung Rumänien und Bulgarien”.

Doch für Postica ist nicht allein der Krieg an dieser katastrophalen Verkehrssituation schuld. Alle Gegenmaßnahmen in der Republik Moldau seien wirkungslos, solange sie nicht mit den rumänischen Behörden abgestimmt würden. Das grundlegende Problem sei im Moment der Mangel an Grenzpersonal auf rumänischer Seite: “Wir haben den Effekt des ‘Flaschenhalses’ – alles, was wir hier versuchen, schnell zu erledigen, wird vom rumänischen Zoll blockiert.” Ohne eine bessere Abstimmung der Behörden auf beiden Seiten der Grenze würden die Staus noch länger, insbesondere mit dem Beginn der Erntezeit, so Iulian Postica im DW-Gespräch.

Das Problem scheint erst vor wenigen Tagen von den Behörden ernst genommen worden zu sein, nachdem sich wegen eines technischen Ausfalls des rumänischen Zollinformationssystems noch längere Schlangen gebildet hatten. Auch war ein 62-jähriger LKW-Fahrer aus der Republik Moldau verstorben, der über 24 Stunden am rumänischen Kontrollpunkt Albita auf seine Abfertigung gewartet hatte.

Erst nach einem Treffen der moldauischen Premierministerin Natalia Gavrilita mit ihrem rumänischen Amtskollegen Nicolae Ciuca am 10.06.2022 setzten sich sogenannte strategische Teams der beiden Länder am Grenzübergang Leuseni-Albita zusammen, um einen neuen Mechanismus zur Verbesserung des Güterverkehrs umzusetzen. Wann die Regelungen greifen werden, ist unklar – die Schlangen an der Grenze sind bisher nicht kürzer geworden.

Schienenverkehr – eine Lösung nur für die Zukunft 

Eine mögliche Lösung, um den Güterverkehr und somit auch den Getreide-Export aus der Ukraine zu gewährleisten, könnte der Schienenverkehr sein. Derzeit ist diese Art des Transports schwierig, da ein Teil des Schienennetzes in der Republik Moldau modernisiert werden muss, aber auch wegen des Unterschieds zwischen den ukrainischen und moldauischen Spurbreiten aus der Sowjetzeit, die sich von denen in Rumänien und somit in der EU unterscheiden.

Mit Zügen könnte Getreide aus der Ukraine über die Republik Moldau zum rumänischen Donau-Hafen Galati oder zum Schwarzmeer-Hafen von Constanta gebracht werden. Oleg Tofilat, Generaldirektor der staatlichen Eisenbahnen der Republik Moldau, weiß, dass zur Entwicklung des Gütertransports auf der Schiene erhebliche Investitionen erforderlich sind, die in seinem Land seit 30 Jahren fehlen: “Die Realität in der Ukraine erfordert dringende Maßnahmen. Die umfangreichen Reparaturarbeiten an den Eisenbahnkorridoren aber dauern Jahre.”

So sei die Sanierung des rund 230 Kilometer langen Abschnitts von Tighina im Osten der Moldau nach Giurgiulesti, dem Hafen am nur 460 Meter langen Donauzugang des Landes, bereits 2014 geplant worden. Der Start der Sanierungsarbeiten erfolgte aber erst im Mai 2022. Auch die Anpassung an die Bedürfnisse der regionalen Logistik sei nun endlich einen Schritt weiter gekommen: “Wir beabsichtigen, die Transitkapazität des moldauischen Eisenbahnsystems bis Ende des Jahres etwa um das Dreifache zu erhöhen.” Gegenwärtig könne der Transit von 4,6 Millionen Tonnen pro Jahr sichergestellt werden – laut Plan sollen es 2023 etwa 13,8 Millionen Tonnen pro Jahr werden: “Heute rollen auf der Nord-Süd-Achse unseres Landes drei Transit-Güterzüge, bald sollen es mindestens neun sein”, so der moldauische Bahnchef Tofilat im Gespräch mit der DW.

Der Bedarf an einer besseren Infrastruktur ist riesig: Nach Angaben der moldauischen Behörden stieg die Zahl der für den Export ausgestellten Zollanmeldungen bisher um 73 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Für Hunderte LKW-Fahrer ändert sich vorerst nichts: Sie müssen weiter warten.

“Meine Frau hat mir Essen für den langen Weg mitgegeben”, sagt Dimitrii Gololobov aus dem ukrainischen Dnepropetrowsk. “Ich esse hier, in der Fahrerkabine. Hier habe ich auch einen elektrischen Teekocher”. Dimitrii hofft, dass er heute den Grenzübergang passieren kann. Und dass er bald wieder zu Hause ist – und der Krieg bald vorbei sein wird. Stolz und Hoffnung schwingen in seiner kräftigen Stimme mit: “Ich weiß nicht, wie lange es dauern wird, aber ich bin mir sicher, dass wir gewinnen werden!”

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