Wer wissen will, wohin die Reise der Grünen geht, kann sich seit vielen Jahren auf den Strategen Tarek Al-Wazir verlassen. 2009 setzte der heutige stellvertretende Ministerpräsident Hessens die Öffnung seiner Bundespartei für Koalitionen mit Union oder FDP durch. Als er 2013 mit Volker Bouffier eine schwarz-grüne Koalition ausgehandelt hatte, verkündete Al-Wazir, sie sei „keine Liebesheirat, sondern eine Zweckehe auf Zeit“. Dass dies sein Ernst war, zeigte sich beispielsweise nach den Kommunalwahlen des vergangenen Jahres. Die Ökopartei kündigte der CDU in Frankfurt und Wiesbaden ohne Not die Zusammenarbeit auf.
Als die CDU vor einer guten Woche Landtagspräsident Boris Rhein für das Amt des Ministerpräsidenten vorschlug, versicherte Mathias Wagner, der Fraktionsvorsitzende des Koalitionspartners, dass man bis zum Ende der Wahlperiode mit der CDU zusammenarbeiten wolle. Er fügte aber hinzu, dass die politischen Karten bei der Landtagswahl 2023 neu gemischt würden. Exakt diesen Satz griff Al-Wazir ein paar Tage später auf, ergänzte ihn aber um ein Wort. Nach der Landtagswahl würden die Karten „wirklich“ neu gemischt, betonte er. Noch deutlicher geht es nicht: Die Ökopartei ist innerlich längst auf dem Weg zu neuen Ufern. Die Ampel leuchtet in die Länder hinein und dient als strategischer Orientierungspunkt. Vor diesem Hintergrund ist es bedeutsam, dass eine solche Koalition aus SPD, Grünen und FDP in Hessen nach wie vor möglich wäre, nach der jüngsten Umfrage des Instituts infratest dimap unter der Führung der SPD.
Rhein momentan der beliebteste Politiker im Lande
Allerdings vergeht bis zur Landtagswahl im Herbst des nächsten Jahres noch eine Ewigkeit. Die aktuelle Umfrage ist „wirklich“ nur eine Momentaufnahme. Aber als solche hält sie auch relevante Daten bereit. Danach ist Rhein momentan der beliebteste Politiker im Lande. Die CDU hat die Frage, wer Bouffier nachfolgen soll, also zur Zufriedenheit der Bevölkerung gelöst.
Bemerkenswert ist Rheins gutes Abschneiden auch wegen seines relativ geringen Bekanntheitsgrades. Fast die Hälfte der Befragten traut sich über den Fünfzigjährigen noch kein Urteil zu. Das ändert sich, wenn Rhein Ende Mai in das Amt des Ministerpräsidenten gewählt wird. Dann hat er es in der Hand, sein Ansehen auf einer guten Grundlage auszubauen. Aber auch die sozialdemokratische Landesvorsitzende Nancy Faeser erhält in ihrem Amt als Bundesinnenministerin die Chance, sich bekannt zu machen. So kommt abermals die Bundespolitik ins Spiel. Und wie die sich nach dem Ausbruch des Krieges entwickelt, steht in den Sternen.