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Nun offenbart sich der grüne Filz

Auf dem Schaf wächst kein Filz, da wächst nur Wolle. Und bei der steht jedes Haar für sich, frei und ungebunden. Man kann die Wolle mit der Hand zu einer kleinen Wolke formen, aber mit einem Kamm ist sie schnell wieder ausgebürstet. Das ändert sich erst, wenn jemand die Wolle nass macht und die Fasern bewegt. Durch das Wasser stellen sich kleine Widerhaken auf, durch die Bewegung verhaken sie sich miteinander. Ein blickdichtes Geflecht entsteht, bei dem niemand mehr weiß, welches Haar mit welchem verbunden ist. Das nennt man Filz.

In der Politik gibt es das auch, womit wir beim Fall Patrick Graichen wären. Der Staatssekretär sollte helfen, einen neuen Chef für die Deutsche Energie-Agentur zu finden. Da waren die Fasern noch locker und wolkig. Bei der Suche zu helfen war nämlich nicht Graichens Wunsch, er wurde von einem Kollegen darum gebeten. Er war ja auch kompetent in der Sache, als jahrelanger Chef einer Denkfabrik, die die Energiewende vorantrieb. Also half er. Es war keine große Sache.

Im Januar schrieb er eine E-Mail mit Vorschlägen, darunter der Name Michael Schäfer, sein Trauzeuge. Es konnte ja sein, dass Schäfer am besten geeignet war. Immerhin hatte Graichen vorher schon mit Schäfer zusammengearbeitet, bei der Denkfabrik Agora Energiewende. Er schlug also jemanden für den Posten vor, der nicht einfach nur ein enger Freund von ihm war, sondern dessen Arbeit er kannte und schätzte. Die anderen wussten nicht, dass der eine Trauzeuge und der andere Bräutigam war. Hätten sie es gewusst, hätten sie vielleicht hinterfragt, warum der Bräutigam den Trauzeugen so hoch schätzt. Da verhakten sich die Fasern schon ineinander. Graichen hätte sie lockern können. Dafür hätte er sich nur aus dem Bewerbungsverfahren zurückziehen müssen. Das tat er nicht.

Im Vorstellungsgespräch siezte Graichen seinen Trauzeugen

Einige Wochen später war das Vorstellungsgespräch. Der Trauzeuge kam herein, und der Bräutigam duzte ihn nicht. Er sagte „Sie“ und „Herr Schäfer“, wie bei einem Fremden. Hätte er anders geredet, wäre er nicht nur seinem Freund in den Rücken gefallen, sondern hätte sich auch selbst beschädigt. Und außerdem, wer konnte schon wissen, wer sein Trauzeuge gewesen war? Graichen konnte hoffen, mit der Sache durchzukommen. Das nennt man Filz.Schäfer bekam den Posten. Jetzt konnte Graichen erst recht nicht mehr zurückziehen. Dann hätte er ein Pro­blem eingestanden, wo andere noch gar keins sahen. Graichen schwieg also. Unter Journalisten gab es da gerade ein ganz anderes Thema: wer im Bundeswirtschaftsministerium mit wem verheiratet oder verwandt war. Graichens Schwester Verena nämlich mit Michael Kellner, einem anderen Staatssekretär. Die wiederum arbeitet bei einem Institut, das Geld vom Ministerium bekommt, genauso wie Graichens Bruder Jakob. Als Journalisten anfingen, Ahnentafeln zu zeichnen, dämmerte Graichen, dass er ein Problem hatte. In dieser Zeit sei ihm bewusst geworden, „dass sein Verhältnis zu Michael Schäfer in der Öffentlichkeit anders wahrgenommen wird“, erklärte das Ministerium in dieser Woche. Also erzählte Graichen seinem Minister Robert Habeck von der ganzen Sache. Es war der 24. April, sechs Wochen nach dem Vorstellungsgespräch von Schäfer.

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