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Reiseveranstalter organisiert Ukraine-Hilfe: “Ob das jemals wieder heilbar ist?”

Marten Lange-Siebenthaler ist Inhaber von Dreizackreisen. Der Reiseveranstalter aus Berlin ist auf Reisen nach Osteuropa, Südosteuropa und das Baltikum spezialisiert. 2006 startete das Unternehmen mit der Ukraine als erstem Reiseland. Bis zum Krieg war die Ukraine das bei seinen Kunden beliebteste Reiseland. Seit dem 24. Februar sind Reisen dorthin unmöglich geworden. Als erste Reaktion auf den Ausbruch des Krieges hat Dreizackreisen bis auf Weiteres alle Reisen nach Russland und Belarus aus dem Programm genommen. Lange-Siebenthaler pflegt intensive Kontakte in die Ukraine und hilft nun den Menschen vor Ort mit selbst organisierten Hilfstransporten. Die ersten Hilfsgüter hat er eineinhalb Wochen nach Beginn des Krieges selbst in die Ukraine gebracht.

Deutsche Welle: Wie genau helfen Sie den Menschen in der Ukraine?

Marten Lange-Siebenthaler: Wir haben im Land Kontakte – und aus Gesprächen erfahren, was in den einzelnen Ortschaften wirklich benötigt wird. Jetzt versuchen wir diese ganz konkreten Bedarfe zu decken. Wir gehen einen anderen Weg als große Hilfsorganisationen, deren Arbeit enorm wichtig ist. Unser Ansatz ist, dass wir schauen: Was gibt es im Kleinen ganz gezielt für Anforderungen? Wir versuchen, die Lücken auszufüllen, die sonst nicht so gezielt abgedeckt werden können.

Sie haben auf Ihrer Internetseite eine Liste mit Dingen, die die Menschen dort benötigen. Was brauchen sie konkret?

Mit unserem ersten Hilfstransport, den wir in die Ukraine gemacht haben, haben wir mit Unterstützung vieler Bürger hier in der Gemeinde Grünheide Essenskonserven, Outdoor-Equipment wie Zelte, Isomatten, Schlafsäcke, Powerbanks und Taschenlampen transportiert. Ein ganz wichtiger Punkt sind Arzneimittel, Verbandsmaterial, Blutstopper et cetera.

Jetzt sind wir dabei, technisches Gerät, also Krankenwagenausstattung, zu organisieren. Denn es werden derzeit auch ganz normale Kleintransporter umgebaut zu Krankenwagen und da fehlt es einfach an der Ausstattung. Daher suchen wir gerade auch Defibrillatoren, EKG-Geräte und Ähnliches.

Sie waren eineinhalb Wochen nach Beginn des Krieges in der Ukraine mit ihrem ersten Hilfstransport. Wie lief der Transport ab?

Wir haben einen Mercedes Sprinter organisiert und dann bin ich mit einem Freund durch Polen in Richtung ukrainische Grenze gefahren. Nachts um drei kamen wir bei Chełm in Ostpolen an, haben in einer Pension noch ein wenig geschlafen und sind um sieben Uhr morgens noch eine Stunde zum Grenzübergang Dołhobyczów gefahren.

Auf dem Weg dorthin haben wir uns mit einem Freund, der als Reiseleiter für uns in der Ukraine tätig ist, über den Ablauf der Übergabe eng abgestimmt. Am Grenzübergang ist alles sehr professionell organisiert. Wir sind vom polnischen Teil des Grenzübergangs zur ukrainischen Passkontrolle weitergeleitet worden und von dort auf eine spezielle Spur, die uns auf einen Parkplatz auf ukrainischer Seite führte. Unsere ukrainischen Partner sind dann zu uns hineingelassen worden und wir konnten ohne große Wartezeit die Hilfsgüter umladen.

Und dann ging es direkt wieder zurück?

Ja, aber wir hatten nicht vor, leer zurückzufahren, sondern wollten schauen, ob es vielleicht Menschen gibt, die in Richtung Westen wollen. Das war erst mal hinter der Grenze gar nicht so einfach. Wir hatten mehrere Leute angesprochen. Man sagte uns, dass in der nächsten Ortschaft eine Anlaufstelle wäre, wo die Weiterfahrt der Flüchtlinge geregelt wird. Dort ging es auch ganz schnell. Uns hat ein Angehöriger der polnischen Armee zwei Frauen und ein Kind vermittelt, die wir nach Wrocław (dt: Breslau; Anm. d. Red.) mitgenommen haben. Die Flüchtlinge werden registriert mit ihren persönlichen Daten, aber auch die Fahrer der Transporte, sodass wir den Eindruck hatten, dass alles sehr professionell abläuft.

Planen Sie denn jetzt, weitere Hilfsgüter in die Ukraine zu bringen?

Wir haben eine Spendenaktion laufen auf “Betterplace”, wo wir zunächst für ein Notstromaggregat für das Krankenhaus in der westukrainischen Stadt Brody gesammelt haben. Das Geld ist relativ schnell zusammengekommen. Und jetzt sind wir dabei, den Transport zu organisieren, der in den nächsten Tagen starten soll. Da die Resonanz so groß war und unsere Bedarfslisten eher gewachsen sind, haben wir überlegt, diesen Spendenaufruf noch zu erweitern. Für medizinische Produkte und Ausrüstung wollen wir jetzt 10.000 Euro einwerben. Aktuell haben wir rund die Hälfte zusammen. Das wird dann wieder ein extra Transport werden.

Sie erzählen alles recht nüchtern. Wie sehr trifft Sie das alles auf der Gefühlsebene?

Wenn man die Situation sieht, wie Frauen und Kinder die Grenze passieren mit zwei, drei kleinen Taschen in der Hand. Und sie wissen, dass sie ins Nichts fahren – das geht einem schon sehr, sehr nah. Und natürlich die persönlichen Beziehungen, die man hat – Leute vor Ort, die aus der Ost-, Süd- und Zentralukraine schon fliehen mussten. Freunde, Bekannte, von denen man die ganzen Geschichten hört, das ganze Leid, was damit verbunden ist. Natürlich auch die Nachrichten, die man hört, die man jetzt auch in ukrainischen Nachrichtensendern verfolgen kann, wenn man die Sprache versteht. Natürlich geht es mir nah, wenn ich sehe, was in dem Land passiert und wie das dann in der Zukunft sein soll. Man stellt sich schon die Frage, ob das jemals wieder heilbar ist.

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