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Sorgen um russische Kohle

Der Verdacht, dass sich in Russland etwas zusammenbrauen könnte, ist einigen Rohstoffhändlern schon im vorigen Herbst gekommen. Von September oder Oktober an gerieten die Güterzugverbindungen zwischen den sibirischen Bergbaugebieten und den Ostseehäfen ins Stocken. Es lag wohl nicht nur an den Folgen der Covid-Pandemie. Anscheinend fehlten auch schon Lokomotiven, weil sie für militärische Transporte gebraucht wurden, statt Nachschub für deutsche Steinkohlekraftwerke heranzuschaffen. Die mögen zwar auf lange Sicht ein Auslaufmodell sein, aktuell sind sie allerdings höchst gefragt: Weil Gas wegen des Ukrainekonflikts extrem teuer ist, laufen die Kohlemeiler im Hochbetrieb. Aber auch bei der Kohleversorgung hängt Deutschland bisher an Russland. Bald sechzig Prozent der Kraftwerkskohle kam im vorigen Jahr aus Russland.

Renaissance der Steinkohle

Noch gibt es keine Sanktionen, welche die Einfuhr behindern. Aber die Logistik läuft nicht rund. In den baltischen Häfen kommt nach Angaben des Vereins der deutschen Kohlenimporteure (VDKi) inzwischen sechzig Prozent weniger Steinkohle an als in „normalen Zeiten“. Dafür werde zwar mehr Kohle über Murmansk und den Schwarzmeerhafen Taman verschifft, trotzdem steht der Handel in Habachtposition und bereitet sich auf alle Eventualitäten vor. „Wir müssen lieferfähig bleiben. Die Händler schauen sich nach anderen Bezugsquellen um und haben teilweise schon reagiert“, berichtet der VDKi-Vorsitzende Alexander Bethe.

Steinkohlekraftwerke werden auch für Notfälle in der Netzreserve vorgehalten. Schon deshalb achtet die Bundesnetzagentur in engem Kontakt mit der Energiewirtschaft sehr genau darauf, ob die Kohleläger ausreichend gefüllt sind. Bisher sieht die Aufsicht keine akuten Engpässe, auch nicht beim Gas. „Die Brennstoffversorgung der deutschen Kraftwerke reicht aus, und es wird weitere Vorsorge getroffen“, sagte ein Sprecher. Auf die Gasimporte wirke sich der Konflikt bisher kaum aus. Die Importflüsse hätten sich in den vergangenen Tagen „nicht nennenswert verschoben“. Der Füllstand der Speicher nähere sich sogar wieder dem in den Vorjahren Ende Februar üblichen Niveau.

Gleichwohl erlebt Steinkohle gerade eine kleine Renaissance in der deutschen Stromversorgung. Im vorigen Jahr ist ihre Erzeugung um rund ein Drittel auf 46,4 Terawattstunden gestiegen, mehr als zehn Prozent der Nettostromproduktion kamen aus Steinkohle. Dafür sind rund 25 Millionen Tonnen verfeuert worden. Der Handel rechnet damit, dass es in diesem Jahr sogar 29 Millionen Tonnen werden könnten, weil die Gaskraftwerke wegen der hohen Preise heruntergefahren werden dürften. Angesichts der strategischen Rolle, welche die Kohle für die Stromversorgungssicherheit bis auf Weiteres spielen wird, könnte der Fahrplan für das Ende der Kohleverstromung ins Wanken geraten. Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD), dem es allerdings in erster Linie um die Braunkohle geht, stellt einen Ausstieg bis zum Jahr 2030 schon infrage.

Alternative Lieferländer

Für die Versorgung der Kohlekraftwerke hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) eine staatliche Reserve wie beim Erdöl ins Gespräch gebracht. Der Bundesfinanzminister und FDP-Vorsitzende Christian Lindner unterstützt den Vorstoß. Bethe hält eine öffentliche Bevorratung dagegen für entbehrlich. Die Kraftwerksbetreiber unterhielten ohnehin große Kohleläger, und es gebe Vorräte in den Häfen. Vor allem aber sei Steinkohle anders als Erdgas auf dem Weltmarkt reichlich verfügbar. Allerdings zeichne sich die russische Kohle durch ihren niedrigen Schwefelgehalt aus, sodass es nicht ganz einfach wird, sie zu ersetzen. „Technisch wird das ein bisschen ruckelig, da ist in den Kraftwerken Ingenieurskunst gefragt“, sagt Bethe, im Hauptberuf Bevollmächtigter (Appointee) des japanischen Handelshauses Jera Global Markets.

Als alternative Lieferländer kämen in erster Linie die Vereinigten Staaten, Kolumbien und Südafrika in Betracht, an zweiter Stelle auch Mosambik, Indonesien und Australien. „Die Versorgung ist gesichert, aber es wird teuer“, sagt Bethe. Verglichen mit Anfang 2021, hätten sich die Steinkohlepreise mehr als verdreifacht. Aktuell würden für prompte Lieferung Rekordwerte von 230 Dollar je Tonne plus einer „Prämie“ von zwanzig Prozent aufgerufen. Bezogen auf den Brennstoffwert sei Kohle damit aber immer noch um rund 100 Dollar je Tonne preiswerter als Gas.

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