Ja, es stimmt: Tiere stehen am Ursprung von mindestens 75 Prozent der Infektionskrankheiten des Menschen. Beispiele sind das SARS-CoV-2, HIV, Influenzaviren, und selbst die Masernviren stammen aus dem Tierreich. Bei einfacher Betrachtung könnte der Eindruck entstehen, die Tiere seien die Täter, der Mensch das Opfer. Diese Wahrnehmung ist nicht nur falsch, sondern auch gefährlich, so würde zum Beispiel die Ausrottung der als „Virenschleudern“ berüchtigten Fledermäuse und Flughunde das ökologische Gleichgewicht empfindlich stören, mit Konsequenzen für uns Menschen.
Fledermäuse vertilgen große Mengen an Insekten, halten die Mücken in Schach, Flughunde verbreiten die Samen ihrer Obstbeute, erhalten Wälder, können neue schaffen. Neben dieser anthropozentrischen Perspektive möchte ich zu bedenken geben, dass es der Mensch ist, der mit Tieren in Kontakt tritt und deren Lebensraum mehr oder weniger komplett erobert hat und immer weiter vordringt.
In dem Artikel „Wie viel Ehrfurcht“ an dieser Stelle wird Zoonosenforschern und -forscherinnen die „klassische Haltung Tier ist Täter, Mensch ist Opfer“ zugewiesen und eine erweiterte „moralische Landkarte unserer Spezies“ entgegengestellt. Wie es heißt, fordert Primatenforscher Frans de Waal eine neue ethische Haltung gegenüber Tieren. Bedeutet das auch: Infektionsforschung versus Verhaltensforschung? Wohl kaum.
Tiere vor menschlichen Erkrankungen schützen
Als Beispiel ein Exkurs in meine Forschung: Im Auftrag einer ungewöhnlichen Kombination an Instituten, des Robert-Koch-Instituts (RKI) und des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie, haben wir bereits 2001 begonnen, nach Viren und Bakterien zu suchen, welche zwischen wild lebenden Menschenaffen und Menschen übertragen werden – die Primatenforscher des MPI-EVA mit Fokus auf die Gesundheit von Schimpansen, das RKI mit Fokus auf Krankheitserreger von Relevanz für den Menschen. Menschenaffen sind unsere nächsten genetischen Verwandten und damit optimale Indikatoren oder Frühwarnsysteme für neuartige Erreger. Methodisch wurde so vorgegangen, dass die Tiere nicht in ihrem natürlichen Verhalten gestört wurden, das heißt, es wurden ausschließlich Kotproben sowie Autopsieproben verstorbener Schimpansen untersucht.
Bereits 2008 konnten wir zeigen, dass sämtliche Fälle der beobachteten Atemwegserkrankungen bei Menschenaffen auf Viren zurückzuführen waren, die von Menschen auf die Tiere übertragen wurden, wodurch die Tiere erkrankten und in einigen Fällen sogar starben. Das war ein Weckruf für Primatologie und Artenschutz und hat zu einem Umdenken im Umgang mit wild lebenden Menschenaffen geführt. Zum Schutz der Tiere vor unseren Erkrankungen haben wir Hygienemaßnahmen etabliert; so sind die „AHA-Regeln“ seit vielen Jahren in den für den Artenschutz wichtigen Menschenaffenprojekten und Ökotourismus Pflicht. Weitere Beispiele zur Übertragung von Krankheitserregern von Menschen auf verschiedenste Tiere folgten, inklusive SARS-CoV-2. Fakt ist: Menschen sind eine große, global vernetzte Population und in jedem Winkel der Erde zu finden. Sie sind somit das wichtigste Reservoir von Krankheitserregern.
Wir konnten aber auch Daten mit hoher Relevanz für den Menschen liefern: Mit dem HIV verwandte Viren (Primaten-T-Zell-lymphotrope Viren) und neue Varianten des HIV-2 werden immer wieder von verschiedenen Affen auf den Menschen übertragen. Nicht über die Nähe bei Verhaltensforschung und Ökotourismus, sondern über die sogenannte „Bushmeat“-Jagd – die Jagd auf Wildtiere in den Tropen, auch auf Affen.
Menschenaffen haben sich auch als hervorragende Indikatoren qualifiziert. Analysen von Autopsieproben führten etwa zu der Entdeckung eines neuen Milzbrand-Typs, und Ausbrüche von Affenpocken bei Schimpansen zeigten, dass diese gefährlichen Viren neben den klassischen Hautläsionen auch schwere Atemwegserkrankungen verursachen können, ein klinisches Bild, welches bis dato für den Erreger nicht bekannt war.
Die Wissenschaft hat sich inzwischen von der klassischen Menschensicht entfernt, da es allzu offensichtlich ist, dass die physische und psychische Gesundheit von Menschen eng mit der Gesundheit von Tier und Umwelt – inklusive Klima – verwoben ist.
Das „One Health“-Konzept erlebt eine Renaissance. Ziel des Konzeptes ist es, Zusammenhänge zu verstehen und basierend auf wissenschaftlichen Daten an Stellschrauben zu drehen, welche die Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt gleichermaßen schützen und verbessern. Klingt einfach, ist es aber nicht. Es geht um hohe Interdisziplinarität, von Infektionsforschung bis hin zu Sozialwissenschaften, Ökologie, Klima, Ökonomie, Psychologie und mehr. In jedem Bereich gibt es wichtige Aspekte, so sind in lokalen Kulturen oft wichtige Lösungsansätze zu finden, aber auch Gefahren: Wie umgehen mit der teilweise uralten traditionellen Jagd nach Bushmeat? Die Lösung muss vor Ort gefunden werden, Weisheiten aus dem Norden zu verbreiten hat selten funktioniert und viel zerstört. Welche Rolle spielen ökonomische Zwänge? Wie sind eine nachhaltige Landnutzung und ein Erhalt der Biodiversität angesichts von Existenznöten möglich? Die Liste an Fragen, Unbekannten und leider auch Zwickmühlen ist lang, gute Lösungsansätze sind nur teilweise vorhanden.
Hochglanzbroschüren reichen nicht
Lokale Lösungen sind also gefragt, welche in nationalen und internationalen Programmen münden. Diese wiederum müssen breit umgesetzt werden, wir brauchen also beides: Bottom-up und Top-down. Das One-Health-Konzept steht vor einer Herausforderung. Es muss sich auch in der Neuzeit beweisen und nicht nur in Hochglanzbroschüren und Vorträgen Erwartungen wecken.
Um diesem Ziel ein Stückchen näher zu kommen, entsteht das „Helmholtz-Institut für One Health“. Das Institut ist am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung angesiedelt, Gründungspartner sind die Universität Greifswald, die Universitätsmedizin Greifswald und das Friedrich-Loeffler-Institut, viele weitere Partner sind beteiligt. Kern des Institutes ist ein umfassendes Langzeit-One Health-Monitoring in Modellregionen der Tropen, aber auch vor der eigenen Haustür. Umfassende Daten zu der Gesundheit von Mensch und Tier sowie der Umwelt inklusive Klima sollen dazu dienen, evidenzbasiert konkrete Maßnahmen zu entwickeln und die Wirksamkeit des One-Health-Konzeptes unter Beweis zu stellen.